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„Sie brauchen vor allem Geborgenheit“

Euro-Waisen in Litauen.


Zum Jahresprojekt 2014 der Frauenarbeit im GAW

Eine Woche im Kaliningrader Gebiet nutzen wir zu einem kurzen Besuch in den Projekten, die das diesjährige Jahresprojekt der Frauenarbeit im GAW „Du bist nicht verlassen“ im ehemaligen Memelgebiet in Litauen unterstützt.

Der Wind bläst eiskalt, als wir am Morgen bei Minus 10 Grad starten. Die winterlich schräg stehende Sonne, der wolkenlose Himmel und die herrliche Landschaft der Kurischen Nehrung verwandeln die Fahrt in ein touristisches Erlebnis. Im Gegensatz zu den verstopften Straßen der Stadt Kaliningrad haben wir die Straße auf der Nehrung ziemlich für uns allein, und der Grenzübergang nach Litauen lässt uns fast vergessen, dass das Passieren dieser EU-Außengrenze auch leicht mehrere Stunden in Anspruch nehmen kann.

Auf dem Marktplatz in Klaipeda / Memel schaut Ännchen von Tharau auf einen großen Weihnachtsbaum und ein paar verlorene Bernsteinverkäuferinnen, die sich vor Kälte die Hände reiben, in ihrem heißen Tee rühren und vergeblich auf die Touristen warten, die hier im Sommer zahlreich flanieren.

Wir treffen Diakoniepfarrer Mindaugas Kairys, ehemaliger Stipendiat des Gustav-Adolf-Werkes. Obwohl wir ihn nicht lange vorher informiert haben, findet er Zeit uns zu begleiten. Wir haben Glück: im Winter wohnt er in Klaipeda, im Sommer in Jubarkas.

Nach einem heißen Kaffee geht es ca. 60 km südöstlich in Richtung Šilutė / Heydekrug. Es ist nicht schwierig, die große Kirche und das daneben liegende Haus mit der Diakonie zu finden. Die Leiterin Astrite Liepiené wartet schon mit Kaffee auf uns. Astrite spricht fließend Deutsch. „Meine Mutter war eine Deutsche, der am Ende des Krieges die Flucht nicht gelang. Sie hieß Lore Haak. Von ihr habe ich Deutsch gelernt. Sie hat auch in den schweren Zeiten die lutherische Gemeinde hier gesammelt“.

So ist auch Astrite selbstverständlich lutherisch konfirmiert. Von ihrer Ausbildung her ist sie Krankenschwester, hat aber nach mehreren Fortbildungskursen jetzt auch die Qualifikation zur Sozialarbeiterin und ist seit 12 Jahren Leiterin des diakonischen Hilfswerks in Šilutė.

Da es Mittag ist, sind auch die ersten Kinder eingetroffen, und wir erleben, wie sie nach einem gemeinsamen Mittagsgebet eine warme Mahlzeit genießen. Im Ganzen kommen zurzeit 23 Kinder nach der Schule in dieses Zentrum.

„Es ist uns sehr wichtig“, betonen Astrite und Mindaugas, „dass die Kinder hier die einfachsten sozialen Fähigkeiten erwerben, die sie üblicherweise in einer Familie lernen. Sehr oft sind ihre Eltern im Ausland, und sie leben bei einer sehr alten Oma oder sogar bei Nachbarn. Sie sind nicht immer arm, haben möglicherweise Handys und Computer, weil ihre Eltern ja Geld verdienen. Aber sie sind extrem arm an menschlicher Zuwendung“.

„Ich sitze hier am Mittag und höre mir wie eine Mutter alle Geschichten aus der Schule und von Zuhause an“, meint Astrite, „es sind oft auch sehr traurige Geschichten. Was die Kinder vor allem brauchen, ist Geborgenheit. Und die wollen wir ihnen hier geben“. Dass Astrite das gelingt, wird uns deutlich, als wir erleben, wie die Kinder sie spontan umarmen.

Wir verabschieden uns und fahren weiter nach Pagėgiai, das früher einmal Pogegen hieß. Hier erwartet uns mit Erna und Petras Vaišvilas ein Rentnerehepaar, durch die wir die erschreckende Härte des Lebens in dieser äußersten Grenzregion kennenlernen.

Im Gemeindehaus neben der Kirche haben auch sie Tee und Kekse für uns vorbereitet. „Die Kinder kommen bisher nur für die tägliche warme Mahlzeit, fünf Mal in der Woche hierher. Zurzeit nehmen 15 Schüler aus dem Gymnasium und fünf aus der Grundschule daran teil.

Wir würden gerne mehr Inhaltliches anbieten und hoffen deshalb auf die Unterstützung durch das Jahresprojekt der Frauenarbeit im GAW“, informiert uns Mindaugas. „Ab 2015 hoffen wir, mit einer Nachmittagsbetreuung beginnen zu können. Der Bedarf ist groß, das Gymnasium liegt ja gleich nebenan.“

„Wir leben nur wenige Kilometer entfernt von der russisch-litauischen Grenze. Früher haben die Kinder auch oft mitgearbeitet im Zigarettenschmuggel. Das ist in der letzten Zeit etwas besser geworden. Wir haben gedacht, dass mehr als 20 Jahre nach der Unabhängigkeit Litauens unser Leben besser geworden sei. Aber das ist nicht so. Hier gibt es keine Arbeitsplätze, die Menschen gehen weg von hier in den Westen. Man sieht keine schwangere Frauen auf der Straße“, lacht Erna, die einmal Hebamme war und dafür einen besonderen Blick hat, „das ist ein Zeichen der Hoffnungslosigkeit in diesem Gebiet“. Und Petras ergänzt, “Meine 260 Euro Rente reichen überhaupt nicht aus zum Leben, allein für die Kohle zum Heizen im Winter brauchen wir 500 Euro. Die Lebensmittel hier sind oft so teuer wie in Deutschland. Manche kaufen auch in Polen ein, weil sie da noch preiswerter sind. Aber das ist ein langer Weg“.

Eine ihrer beiden Töchter lebt in Chicago. Ja, sie haben sie schon besucht, weil sie die Tickets geschickt hat. „Aber so geht einer nach dem anderen aus diesem Gebiet“.

Nachdenklich fahren wir zur weltberühmten Luisenbrücke, der Grenze russisch-litauischen über den Nemunas, die Memel. Zum Besuch der dritten Diakoniestation bei Jurbarkas weiter östlich bleibt uns keine Zeit mehr.

Der Himmel hat sich bezogen und lässt Schneefall befürchten. In der Dunkelheit sehen die kleinen Häuser am Straßenrand aus, als kauerten sie sich schutzlos und hilfesuchend zusammen. „Es erschreckt mich“, meint unser Freund aus Kaliningrad, der uns begleitet, „zu sehen, dass dieses Gebiet noch verlassener wirkt als viele Bezirke in der Oblast Kaliningrad.

„Du bist nicht verlassen“ – geht es mir durch den Kopf, das Motto unseres Jahresprojektes, und ich hoffe, dass wir auch hier zeichenhaft mit den Mitteln des Jahresprojektes ein wenig von der Hoffnung der Advents- und Weihnachtsbotschaft weitergeben können.