Reisebericht
Besuch einer Reisegruppe der stationären Hilfe des Schäferhofs in Appen bei der Einrichtung Gabrielius in Litauen vom 08.- 13.09.2014
Vorgeschichte
Zur Evangelischen Kirche und zur Diakonie in Litauen bestehen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs Kontakte zwischen der Nordelbischen Kirche bzw. jetzt de Nordkirche und auch dem Diakokonischen Werk-Schleswig-Holstein. Das DW S-H wünschte vor gut drei Jahren, dass diese Kontakte auf die Ebene von Trägern bzw. Einrichtungen diakonischer Arbeit ausgeweitet werden sollten und sprach in dieser Absicht den Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein und die Stiftung Hamburger Arbeiter-Kolonie an.
Als ersten Schritt kam es zu einem Besuch von Mindaugas Kayris, dem Landespastor der Diakonie in Litauen und Valdas Miliauskas, dem Leiter der Einrichtung Gabrielius. Sie besuchten den Schäferhof sowie die Suchtberatungsstellen des Diakonischen Werks des Kirchenkreises und die Therapieeinrichtung Toppenstedt.
Im Herbst 2012 gab es einen Gegenbesuch in Litauen. An diesem nahmen Maike Kleber (Leitung Suchtberatung Pinneberg), Silvia Linz (Leitung Hof Toppenstedt), Petra Mindermann (Leitung Sozialer Dienst Schäferhof) und Rainer Adomat (Geschäftsführung Stiftung Hamburger Arbeiter-Kolonie) teil.
Das Ziel der Reise, war ein Einblick in die Arbeit der Litauer zu gewinnen und einen fachlichen Austausch zu starten. Was uns an Einrichtungen gezeigt wurde, hat uns sehr beeindruckt. Es wurde in einem gesonderten Bericht festgehalten. Die Evangelische Kirche und die Diakonie haben das bauliche Erbe der Evangelischen Kirche (zurück-) übertragen bekommen und haben aus Ruinen lebendige Einrichtungen erwachsen lassen. Dies gilt auch für die Einrichtung Gabrielius, die unten näher vorgestellt wird.
Zwischenzeitlich waren auch Mindaugas Kayris (und Valdas Miliauskas) wieder in Schleswig-Holstein zu Besuch. Im Herbst 2013 wurde bei einer Zusammenkunft im Martinshaus in Rendsburg zusammen mit dem DW S-H über die Konzeption für eine ambulante Suchtberatung der Diakonie in Klaipeda beraten. Dieses Projekt soll mithilfe von Aktion Mensch aufgebaut werden. Es konnten jetzt dafür geeignete Räumlichkeiten in Klaipeda gefunden werden, so dass mit einer Aufnahme der Arbeit bald zu rechnen ist.
Reise 2014
Um den Kontakt weiter zu vertiefen, wurde jetzt seitens des Schäferhofs im September 2014 eine Reise durchgeführt, die noch einmal neue Aspekte in den Austausch bringen sollte. Um den Kontakt mit Gabrielius nicht nur auf Leitungsebene zu pflegen, wurde eine Reise mit Bewohnern durchgeführt. Die Vorbereitung der Reise wurde in der Mitarbeiterschaft recht intensiv kommuniziert. Die mitreisenden Bewohner wurden von der Einrichtungsleitung Schäferhof gezielt angesprochen. Da Gabrielius eine abstinente Einrichtung ist, war eine Bedingung für alle Mitreisenden, dass während der Reise kein Alkohol konsumiert werden darf. Mitreisende Bewohner waren Kurt Kuchs und Manfred Schmelzer aus dem „Trockenen Bereich“, Dirk Fittkau und Guide Linke aus dem Haus Raboisen sowie Thomas Krause aus dem Bereich Haupthaus der Wohnungslosenhilfe. Seitens der Mitarbeiterschaft waren Petra Mindermann und Rainer Adomat dabei.
Da mit der Reise eine Vertiefung des fachlichen Austausches verbunden sein sollte, haben wir eine Vorstellung der Struktur und Konzeption des Schäferhofs durch eine professionelle Dolmetscherin aus Lübeck vor der Reise in Litauische übersetzen lassen. So konnten vor allem die Bewohner der Einrichtung Gabrielius sich ein Bild vom Schäferhof machen.
Um den Gesamteindruck gleich vorne an zu stellen: es war eine supertolle Reise, voller schöner und interessanter Eindrücke, mit bewegenden menschlichen Begegnungen, gutem fachlichen Austausch und allerbester Stimmung in unserer 7-köpfigen Gruppe. Und das Wetter war auch perfekt, herrliche Spätsommertage
Reisetagebuch
08.09.14
Wir sind mit der Fähre von Kiel nach Klaipeda gefahren (mit der Fähre ging es auch zurück) und hatten einen Kleinbus und einen PKW dabei. Abfahrt in Kiel am 08.09.14 um 14.00 Uhr, Ankunft in Klaipeda am 09.09.14 gegen 13.00 Uhr Ortszeit (eine Stunde Zeitverschiebung), Fahrtdauer etwa 21 Stunden. Ruhige Überfahrt, alle Mitglieder der Reisegruppe haben im Bereich Ruhesessel geschlafen (campiert), in der Nachsaison offenbar relativ komfortabel, da nur wenige weitere Reisende.
09.09.14
Ankunft in Gabrielius gegen 16.00 Uhr, freundlicher Empfang, Gang übers Gelände, in den Stall und die Kirche; dann Tee und Teilnahme an einer Gruppensitzung (Gabrielius-Klienten und ein Psychologe) zum Thema Auswirkungen von und Umgang mit Alkohol und den Tücken eines abstinenten Lebens. Impulse wurden durch den Gruppenleiter Getamindis, einem trockenem Abhängigen, als Bild oder kurzen Satz bzw. kurze Frage per Laptop und Beamer an die Wand geworfen. Wir saßen im Hintergrund des Raumes und konnten uns von dort aus ggf. beteiligen. Einrichtungsleiter Valdas Miliauskas übersetzte.
Im Gruppenraum hängen die erreichten Stufen der individuellen Maßnahmepläne für alle einsehbar an der Infotafel. Ebenso sind persönliche Termine der einzelnen Klienten (Arztbesuche etc.) ausgehängt. Ungewohnt für die Gäste war auch eine ebenfalls ausgehängte Liste mit gegenüber den Klienten ausgesprochenem Lob und Tadel der jüngsten Zeit.
Gegen 20.00 Uhr fuhren wir ins Hotel nach Silute, dem früheren Heydekrug, wo wir im Restaurant noch ein Abendessen genießen konnten. Im Restaurant wurde ein Basketballspiel (WM) Litauen-Türkei übertrage. Basketball ist quasi Nationalsport, das Lokal war mit Fans voll besetzt, schöne Stimmung.
10.09.14
Nach dem Frühstück im Hotel Besuch bei Gabrielius; nach der Begrüßung mit Kaffee und Kuchen trug die Schäferhof-Reisegruppe eine Bildpräsentation über den Schäferhof vor, die vor der Reise von den mitreisenden Bewohnern vorbereitet worden war. Danach wurden auf dem Gabrielius-Gelände Bäume gepflanzt: eine Gemeinschaftsaktion.
Nach dem gemeinsamen Mittagessen fuhr die Schäferhof-Gruppe unter Leitung von Valdas Miliauskas und Mindaugas Kayris, dem Landespastor der Diakonie Litauen, durch die Niederungen der Memelmündung Richtung Rusne. Besichtigt wurde die Kirchenruine in Plaskiai/Plaschken, danach ging es nach Rusne. Hier ist Valdas Prediger. Rusne ist touristisch erschlossen und wirkt sehr freundlich. Picknick am Flussufer. Danach Rückfahrt zu Gabrielius. Besichtigung des Hauses.
11.09.14
Besuch auf der Kurischen Nehrung bei strahlendem Sonnenschein; abends Essen im Hotel, wieder volles Haus wg. Basketballspiel, USA: Litauen.
12.09.14
Abfahrt vom Hotel in Silute;
Besichtigung der Diakoniestation Sandora in Silute, freundlicher Empfang durch die Stationsleitung Astrid; die Sandora liegt in der Nähe der Kirche und ist an das Gemeindehaus angebaut, sehr freundlicher, moderner Bau, es finden Angebote für bedürftige Menschen unterschiedlichen Alters statt (Mittagstisch für Kinder, Seniorentreff, psychosoziale Beratung)
Fahrt nach Klaipeda, Rundgang durch Innenstadt mit Valdas und Simona; gemeinsames Mittagessen, danach Verabschiedung von den Gastgebern; unsere Gruppe besuchte zunächst einen Markt mit „kleinen“ und wohl teils auch privaten Markthändlern (Rentnerinnen mit Gartenprodukten), Eindruck: Armut verkauft für Armut; danach wegen des Regens Fahrt zum modernen Einkaufszentrum Akropolis: Konsum auf dem üblichen internationalen Niveau: glitzernd, leuchtend, lärmend und uniform; interessant der riesige Buchladen Pegasas, erstaunlich, wie viele Bücher auf Litauisch gedruckt werden, mit Mühe konnte das einzige englischsprachige Buch zur Geschichte Litauens entdeckt werden.
Abends zur Fähre und dann gegen 23.00 Uhr Abfahrt Richtung Kiel, Ankunft in Kiel gegen 19.00 Uhr
Reiseeindrücke
Auf der Rückfahrt sprach ich mit den mitreisenden Bewohnern und fragte nach den besonderen Eindrücken, die der Besuch bei Gabrielius hinterlassen hat. Antworten waren (in Stichworten): guter Zusammenhalt untereinander, einfach und schlicht, ländlich, Respekt vor der Selbstversorgung, Aufbauwille zu spüren, wenig Schmuck an der Wand, vermutlich konzentriert man sich auf das Wichtigste, jeder packt mit an, Gastfreundschaft, wir wurden freundlich aufgenommen und verwöhnt, besonders lecker: Fisch aus dem Rauch
Mögliche weitere Schritte der Kooperation
Über einen Besuch einer Reisegruppe aus Litauen würde sich der Schäferhof sehr freuen, um den freundschaftlichen Kontakt weiter zu pflegen.
Um die Beziehung zu einer tragfähigen langfristigen echten Kooperation auszubauen, ist ein konkretes gemeinsames Projekt anzustreben. Dies könnte in einem langfristig angelegten fachlichen Austausch über konzeptionelle Fragen bestehen. Ein denkbarer Ansatzpunkt wäre die Frage nach therapeutischen Konzepten mit suchtmittelabhängigen Menschen aus einer sozialen Randlage. Hier können weitere Partner aus Litauen und Deutschland, aber auch aus anderen EU-Ländern, sinnvoll einbezogen werden.
Informationen zur Struktur und Arbeit von Gabrielius
Die Einrichtung Gabrielius arbeitet seit 2009 als stationäre Einrichtung. Ziel ist die Stabilisierung und soziale Wiedereingliederung von suchtmittelabhängigen Menschen (insbesondere Männern).
Die Einrichtung kann bis zu 25 Klienten aufnehmen. Dafür werden 9 Bewohnerzimmer vorgehalten. Im September 2014 sind 18 Plätze belegt.
Das Haus bietet unterm Dach noch Ausbaureserven für weitere Zimmer und Funktionsräume. Die Arbeiten hierzu laufen unter Beteiligung der Bewohner.
Als Personal sind eingesetzt: 1 Einrichtungsleitung, 1 Psychologin, 2 Sozialarbeiter/innen, 2 pädagogische Assistenzkräfte, 3 Kräfte für Bereitschaftsdienste und besondere Aufgaben, 1 Verwaltungskraft.
In einem EU-geförderten Projekt sind weitere 10 Mitarbeiter/innen tätig. Dieses Angebot ist ein Beratungs- und Unterstützungsangebot für Familien in besonders schwierigen sozialen Situationen. Das Projekt wird Ende 2014 enden.
Einen therapeutischen Schwerpunkt bildet die Arbeitstherapie. Diese dient insbesondere dazu, die tägliche Versorgung der Bewohner, aber auch des Gartens sowie der Haustiere (Schweine, Kaninchen, Hunde) sicherzustellen. Auch sind, wie erwähnt, Bewohner am weiteren Ausbau von Zimmern (Trockenausbau mit Gipskartonplatten) beteiligt. Ggf. sind Bewohner auch auswärts für die Einrichtung eingesetzt oder aber sie gehen einer regulären Beschäftigung nach. Dies setzt den Besitz eines PKWs voraus, da die Einrichtung recht abgelegen im ländlichen Raum liegt.
Nachstehend weitere Informationen zur Einrichtung Gabrielius vom Gustav-Adolf-Werk e.V.
im Diasporawerk der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gabrielius war das Gustav-Adolf-Werk-Projekt des Monats September 2013
Gabriel hilft - und braucht Hilfe
Im Therapiezentum "Gabrielius" der litauischen Diakonie in Vyžiai lernen Menschen ohne Sucht zu leben
Das Therapiezentrum „Gabrielius“ steht inmitten von weiten Feldern. Gäbe es wenige Schritte entfernt nicht eine kleine Kirche, man könnte sich im Nirgendwo erwähnen. Das Zentrum, das im ehemaligen lutherischen Pfarrhaus von Vyžiai (deutsch: Wieszen) untergebracht ist, liegt acht Kilometer vom Rajonzentrum Šilutė entfernt, auch der nächste Ort liegt außerhalb der Sichtweite. 1993 wurden die Kirche und das Pfarrhaus vom Staat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Litauen übergeben: heruntergekommen, im Grunde nur eine Last.
Inzwischen wohnt dem alten Pfarrhaus Hoffnung inne. Man könnte auch sagen: viele Hoffnungen. Es sind 15 Männer zwischen 24 und 43 Jahren, die alle eine Hoffnung haben: Hier von ihrer Drogen- oder Alkoholsucht frei zu werden. „Schon seit 2008 wohnen in dem Haus Männer, die ihr Leben verändern wollen“, erzählt Pfarrer Mindaugas Kairys, Leiter der Litauischen Diakonie. Damals war das Gebäude des Therapiezentrums „Gabrielius“ in einem schrecklichen Zustand: kaputtes Dach, undichte Fenster, drinnen fast so kalt wie draußen. Doch für die Bewohner, von denen einige obdachlos gewesen waren, war das eine große Chance. Erstens gab es in Litauen relativ wenige Therapieangebote für diese Menschen. Und im „Gabrielius“ sind sie weit weg von ihrem alten Umfeld, werden sie nicht nur psychologisch betreut, sondern auch wieder in den Alltag eingegliedert.
„Jeden Tag gibt es eine dreistündige Arbeitstherapie“, erläutert Pfarrer Kairys die äußerliche Verwandlung, die das alte Pfarrhaus in den letzten Jahren durchgemacht hat. Denn was liegt näher, als dass diese Stunden dafür eingesetzt werden, das Therapiezentrum bewohnbar zu machen? Die Arbeit soll mithelfen, den Bewohnern durch die Bauerfahrung eine neue Perspektive für die Zukunft zu geben. Außerdem halten die Männer das Haus selbst sauber, kümmern sich um Tiere – gegenwärtig sechs Schweine – um den Garten und das Gewächshaus, kochen und waschen.
Für den Kauf des Baumaterials kam die Hilfe vor allem aus dem Ausland. So hat das Gustav-Adolf-Werk schon einmal bei der Dachrenovierung geholfen. Mit weiteren Hilfen aus Deutschland wurden neue Fenster sowie ein neues Heizungssystem eingebaut. Litauische Firmen spenden vor allem Lebensmittel wie Kartoffeln, Fleisch oder Brot.
Jetzt sollen die Sanierungsarbeiten fortgesetzt werden. Unter fachmännischer Anleitung eines Handwerkers werden die Bewohner die Innenwände mit Gipskartonplatten aufbauen. Das GAW will den Ankauf des Baumaterials mit 7 900 Euro unterstützen.
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